Freitag, 20. Dezember 2024

Andererseits - Journalismus für alle

Durch die Recherche von Jan Böhmermann bin ich auf die Seite Andererseits  aufmerksam geworden. Journalist*innen mit und ohne Behinderung decken Missstände auf. Ein tolles und wichtiges Projekt!

Wie Deutschland bei der Inklusion versagt

Die Ergebnisse der Recherche mit dem ZDF Magazin Royale sind auf der Seite Inklusion zusammengefasst. Die Beispiele für die Ausgrenzung in der Politik und am Arbeitsmarkt sind hier nochmals ausführlicher beschrieben.

Journalismus von andererseits

Über Lesen gelangt man zu weiteren investigativen Projekten, wie die Behinderung am Arbeitsmarkt, sexualisierte Gewalt und die Lücken beim Katastrophenschutz.

Angebote

Über Kennenlernen kann man sich für einen Newsletter anmelden - Ziel: Lerne Behinderung besser verstehen.  Außerdem gibt es einen Leitfaden für die richtigen Worte im Umgang mit Behinderung und Tipps für Social Media. Für Firmen werden darüber hinaus Workshops angeboten, bei der für Behinderung und Inklusion sensibilisiert wird.

Wie Deutschland Ausgrenzung als Inklusion verkauft

In der letzten Sendung des ZDF Magazin Royal im Jahr 2024 widmete sich einem wichtigen Thema - Inklusion. 

Was ist Inklusion?

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes definiert Inklusion: Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch die Möglichkeit erhalten soll, sich umfassend und gleichberechtigt an der Gesellschaft zu beteiligen. In Deutschland gibt es 13 Millionen mit Behinderungen – jede 6. Person
Die Behindertenrechtskonvention gilt seit 2009 in Deutschland – wir aber unzureichend umgesetzt.

Menschen mit Behinderungen werden behindert

Beispiele aus dem Alltag zeigen die vielfältigen Probleme: Menschen nehmen wenig Rücksicht, sprechen nur mit der Begleitperson, es gibt wenige barrierefreie Wohnungen, Arztpraxen oder Friseure. Selbst beim Katastrophenschutz hat man Menschen mit Behinderung vergessen.

Inklusion an Schulen geht zurück

Die Landesregierung Sachsen-Anhalt möchte Förderschulen stärken. In Baden-Württemberg ist die Anzahl von Kindern in Förderschulen in den letzten Jahren sogar gestiegen, in anderen Ländern bleibt es auf hohem Niveau. Dabei sind Förderschulen oft nur der Auftakt einer Exklusionskette – viele Kinder verlassen die Schulen ohne Schulabschluss.

Mangelnde Inklusion in der Arbeitswelt

Viele Menschen arbeiten in Werkstätten für Behinderung, in denen sie lediglich rund 220 Euro verdienen. Sie erhalten Zuschüsse, dennoch sind Menschen mit „Aktivitätseinschränkungen“ deutlich stärker von Armut betroffen als andere.
Die Werkstätten kommen auch nicht dem Ziel „Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt“ nicht nach, lediglich 0,35 % schaffen den Übergang. Zwar möchten viele Menschen dort arbeiten, offensichtlich ist der Arbeitsmarkt auch nicht vorbereitet.
61 % der Unternehmen kommen ihrer Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht vollständig nach – auch das ZDF Magazine Royale. Diese müssen eine Ausgleichsabgabe zahlen, können diese aber dann von der Steuer absetzen.
Porsche erfüllt die Vorgaben auch nicht – lässt aber gleichzeitig Menschen in Werkstätten für sich arbeiten.  

Staat arbeitet mit Tricks

Der Staat als Arbeitgeber ist kaum besser – und arbeitet mit weiteren Tricks, um die Abgabe zu umgehen. Aufträge an Werkstätten können zur Hälfte angerechnet werden. Wenn genug Werkstatt-Aufträge vergeben werden, muss man also gar keine Abgaben zahlen.

Barrierefreie Wahllokale – so gut es geht, jedenfalls

Wahllokale sind häufig in Schulen – die nicht barrierefrei sind. Eine Umfrage des Bundeswahlleiters von 2017 zeigt, dass 71 % der Wahllokale barrierefrei sind. Allerdings durften die Gemeinden selber bestimmen, was sie unter „barrierefrei“ verstehen. Es gibt auch keinen Anspruch. Die interessante Antwort des Bundeswahlleiters: Wir denken aber, dass alle Städte und Gemeinden bei der Auswahl der Wahllokale auf Barrierefreiheit achten. So gut es geht, jedenfalls.

Dienstag, 19. November 2024

Leichte Sprache ist kompliziert

In einem Interview SPIEGEL gibt die Expertin Anne Leichtfuß gibt Tipps zur leichten Sprache.

Viele Menschen sind auf leichte Sprache angewiesen

14 Millionen Menschen in Deutschland brauchen leichte Sprache, damit sie sich informieren können.
Entscheidend sind kurze Sätze, möglichst mit einer Information im Satz. Fremdwärter und Fachbegriffe zum Beispiel müssen erklärt werden. In einem Projekt hat sie für die Münchner Kammerspiele „Antigone“ von Sophokles in Leichte Sprache übertragen.

Punkte in Wörtern für mehr Verständlichkeit

Die Punkte in manchen Wörtern dienen der Verständlichkeit. Sie unterteilen die Worte in Sinneinheiten, so kann man sie leichter erfassen.

Illustrationen und Grafiken für politische Inhalte

Das Verständnis von politischen Berichten erfordert viel Vorwissen. Hier verwendet die Autorin Grafiken und Illustrationen, bei Digitaltexten können Informationen verlinkt werden.

Prozentangaben sind kaum übertragbar

Gescheitert ist die Expertin bei der Angabe einer Prozentzahl. Auch nach Rücksprache mit ihren Prüfern hat sie festgestellt, dass die Übertragung auf Prozente kaum funktioniert. Sie verwendet stattdessen „manche“, „einige“ oder „viele“ anstelle einer konkreten Prozentzahl.

Freitag, 18. Oktober 2024

Donald Trumps Kampagne ist ein Musterbeispiel für Exklusion

In der Süddeutschen Zeitung beschreibt Heribert Prantl den Wahlkampf der Republikaner in den USA.

Ableismus – Menschen auf Beeinträchtigungen reduzieren

Der Begriff Ableismus leitet sich aus dem Begriff Fähigkeiten (ability) ab. Er grenzt alle Menschen aus, die nicht einer vermeintlichen Normalität entsprechen, die also von der angeblichen körperlichen oder geistigen Norm abweichen. Alle Menschen, die die als wesentlich betrachteten Fähigkeiten nicht haben, werden als gestört und behindert kategorisiert, diskriminiert und exkludiert.

Donald Trump als exzessive Kampagne für Ableismus

Den Wahlkampf von Trump bezeichnet Prantl als „eine sehr ausgreifende, eine exzessive und zugleich weltweit wirksame hochgiftige Kampagne für den Ableismus“. Schon in seiner ersten Amtszeit hat er abwertend über Menschen mit Behinderungen geredet, nun diskreditiert politischen Gegner als irre, geistig behindert oder krank.

Leitmedien als Leidmedien

Trump kritisiert auch die Medien, den diskriminierenden Unsinn von Trump durch ständige Wiederholung sagbar machen. Kritiker, die Trump aus berechtigtem Zorn ihrerseits als Irren bezeichnen, gehen Trump auf den ableistischen Leim. Passender hält er die von Tim Walz geprägte Bezeichnung „weird“, die ihn als komisch beschreiben, aber ohne aggressiven und gehässigen Unterton.

Inklusion bedeutet, dass alle am System teilhaben können

Trump steht allem entgegen, was Integration und Inklusion heißt. Integration bedeutet die Eingliederung in ein vorhandenes System, Inklusion geht darüber hinaus, nämlich „einlassen“ und „einbeziehen“. Die Gesellschaf sollte so gestaltet werden, dass ein Mensch, mit welchen Behinderungen, Beeinträchtigungen oder fehlenden Fähigkeiten auch immer, gut darin zurechtkommen kann.

Diversität ist Fakt, Inklusion eine Entscheidung 

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau hat das Gegenprogramm zu Trump formuliert. Er prägte die Formulierung „Diversity is a fact. Inclusion is a choice.“ - Man ist nicht behindert, man wird behindert. Es geht um die gesellschaftliche Sensibilität für eine gute Zukunftsgestaltung: Inklusion heißt Abbau von Barrieren, heißt Zugänglichkeit und zwar nicht nur zu Gebäuden und Verkehrsmitteln. Inklusion ist kein bautechnisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Prinzip. Inklusion heißt Anerkennung und Wertschätzung.
 

Freitag, 20. September 2024

Spart euch die Empörung!

Jonas Wenig kritisiert in der Süddeutschen Zeitung, dass die Empörung über die Witze des Komikers Luke Mockridge Menschen mit Behinderung nicht hilft.

Gratismoral bei der Empörung über Mockridge

Für den Autor zeigen die Reaktionen auf die Witze von Luke Mockridge, dass Menschen mit Behinderungen die Minderheit darstellt, auf die sich die gesamte Gesellschaft am ehesten als „schützenswert“ einigen kann, „also immerhin gratismoralisch, wenn es wirklich nichts kostet – von ziemlich weit rechts bis ganz nach links, von sehr jung bis sehr alt, von weiß bis nicht-weiß.“ Als Björn Höcke über Inklusion als Irrweg schwadronierte, wiesen selbst AfD-Vertreter diese Position zurück.

Für den Autor gibt es zwei Gründe, warum Menschen sich für Behinderte so in die Bresche werfen – einen naheliegenden und einen versteckten und sehr perfiden.

Jeden könnte eine Behinderung treffen

Der naheliegende Grund ist, dass sich viele vorstellen können, selbst eine Behinderung zu haben. Sie kennen Menschen mit Behinderung oder haben selbst gesundheitliche Einschränkungen. Die Identifikation fällt leichter als mit trans-Personen oder Ausländern.

Behinderte stellen keine Gefahr da

Der perfide Grund ist der Gratismut sich über Mockridge zu empören: Es kostet nichts, weil Behinderte für niemanden eine „Gefahr“ darstellen. Sie konkurrieren nicht um gesellschaftliche Ressourcen: Behinderte nehmen niemandem den Arbeitsplatz, die Wohnung oder allgemein gesprochen Status und Wohlstand weg. Andere Gruppen kämpfen lautstark für ihre Rechte. Für Behinderte hingegen gibt es aus einer Position der Überlegenheit mitleidige Blicke, Gesten der Wohltätigkeit und natürlich: alle zwei Jahre Applaus und Anerkennung bei den Paralympics – gerne Hand in Hand mit Inspirations-Porno.

Gesellschaftliche Teilhabe und eine faire Chance

Es geht nicht darum, andere zu inspirieren oder beschützt zu werden - es geht schlicht um gesellschaftliche Teilhabe und eine faire Chance.
Es gibt wenige prominente Menschen mit Behinderungen: Wolfgang Schäuble wäre kaum so erfolgreich gewesen, wenn er seine Politikerkarriere im Rollstuhl gestartet hat. Da es nicht daran liegen kann, dass Menschen mit Behinderungen dümmer, unbegabter und fauler sind, muss es an den Bedingungen liegen, die ihren Aufstieg oder nur ihre Teilhabe behindern. Selbst eine reiche Stadt wie München schafft es nicht, Stolperschwellen für Menschen im Rollstuhl zu beseitigen. „Wenn es schon bei einfachen physischen Barrieren in staatlicher oder kommunaler Verantwortung derart hapert, braucht man sich über Barrieren in vielen Köpfen kaum zu wundern.“

Ausgrenzung in Schulen und Konzerten

Inklusive Klassen finden auf dem Papier alle super – aber wenn die eigenen Kinder betroffen sind, finden manche Förderschulen nicht so schlimm, man wolle die armen behinderten Kinder ja auch nicht überfordern. Auch bei Konzerten oder im Fußallstadien werden Behinderte ausgegrenzt. Sie werden zusammengepackt in separaten Bereichen, die Plätze mögen dann barrierefrei sein, inklusiv im Sinne eines gemeinschaftlichen Erlebens sind solche Events in keinem Fall.

Sich über schlechte Komiker empören ist noch keine Inklusion

Der Autor fragt sich, wie erfolgreich die Interessenvertreter von Behinderten ihren Job machen – Inklusion ist nur ein Felder der notwendigen Modernisierung. Wenn Politik und Gesellschaft entscheiden, ernst gemeinte Inklusion nachrangig zu behandeln, ist das eine legitime Einschätzung, aber: Dank für die vielen Tränen über geschmacklose Witze – hilft nur ernsthaft gerade nicht weiter.“

Sonntag, 25. August 2024

Paralympics als Beitrag zur Inklusion?

Aus Anlass der Paralympischen Spiele stelle ich Beiträge der Aktion Mensch und einer Aktivistin vor. 

Paralympics als Inspiration

Für Aktion Mensch stehen die Paralympics nicht direkt für den Begriff, die Teilnehmer*innen sind wichtige Botschafter für Inklusion. Sie helfen dabei, Vorurteile und Berührungsängste abzubauen. Und sie sind Vorbilder, Inspiration und Mutmacher.
Im Interview betont Thomas Abel, dass die Paralympics ein separierendes Ereignis sind. Aber auch er betont die Vorteile: sie tragen dazu bei, die mitleidige Haltung gegenüber Menschen mit Behinderung abzubauen und die Dynamik zu verändern: Man redet von Faszination, Respekt, Spannung, von allen Emotionen des Sports. Neben der Frage, wer gegeneinander antreten darf, ist für ihn die Frage des Alltags: Wird ein Kind mit Behinderung, das gerne Tischtennis spielen möchte, beim Tischtennisverein um die Ecke willkommen geheißen?

Anti-Ableismus – Ein Kurz-Guide zu den Paralympics

Über den Aktivisten Raul Krauthausen bin ich auf einen Instagram-Eintrag des Rollifräuleins aufmerksam geworden. Sie hat auch eine Homepage, auf der sie sich wie folgt beschreibt: Autorin, Aktivistin für Behindertenrechte, Feministin, Redakteurin, Literaturwissenschaft-Master-Besitzerin, Utopie-Fan-Girl. Streut überall Glitzer drauf.

In ihrem Kurz-Guide zu den Paralympics stellt sie interessante Regeln und Tipps zusammen:

  • Die Athlet*innen sind Athlet*innen – nicht inspirierende Menschen aufgrund ihrer Behinderung
  • Sie erbringen Leistung – und haben Erfolg nicht trotz ihrer Behinderung
  • Sie überwinden Barrieren und Ableismus – aber keine Behinderung
  • Sie haben Kampfgeist und Glück – NICHT: sie lassen sich nicht von ihrer Behinderung stoppen
  • Behinderung sagen und NICHT Besondere Bedürfnisse, Handicap, andersbegabt
  • Hilfsmittel sind keine Hürden NICHT trotz Rollstuhl, Hörgerät, Prothese etc.



Sonntag, 21. Juli 2024

Zwischenstopp der „Reise um die Welt“ mit Tango und Shakira

Mit einem Seminar zu Südamerika legt meine Seminarreihe „Reise um die Welt“   einen Zwischenstopp ein. In Zusammenarbeit mit der VHS Stuttgart führe ich diese Reihe für ATRIO Leonberg durch.

Blick auf die Kontinente

Die Seminarreihe begann mit einem Blick auf die Welt und die Frage, wie die 8 Milliarden Menschen auf die Kontinente verteilt sind. Danach haben wir uns einzelne Staaten und Kontinente genauer angeschaut.

Kriege und Konflikte

Thematisiert wurden auch die Kriege und Konflikte. Lange haben wir über den Krieg in Gaza gesprochen – die Gründe, die Folgen aber auch die Hoffnung auf Frieden. Mit Bildern habe ich gezeigt, dass es dort auch wunderschöne Landschaften gibt. Auch beim Thema „Russland und seine Nachbarn“ haben wir über den Krieg gesprochen.

Fußball und Musik aus Südamerika

Mit Gewalt, Armut und Rogen gibt es viele Probleme in Südamerika. Schwerpunkt des Seminars war aber die vielfältige Kultur wie Samba, Tango. Bekannt und beliebt war die Musik der Kolumbianerin Shakira. Für große Begeisterung sorgte auch ein Video über die Sehenswürdigkeiten.

Die Reise um die Welt geht weiter

Im nächsten Semester geht die Reise um die Welt weiter. Auf dem Programm stehen dann die USA und Afrika und weitere Länder und Regionen, die sich die Teilnehmenden wünschen. Aus Anlass der Bundestagwahl folgt dann eine „Reise durch Deutschland“. Zu den Regionen und Staaten dieser Seminarreihe finden Sie auch Angebote im Bereich Internationale Politik.

Mittwoch, 19. Juni 2024

Tagesschau in einfacher Sprache – endlich wird der Bildungsauftrag erfüllt

Ich habe mich sehr gefreut, als ich gelesen habe, dass die Tagesschau nun Nachrichten in einfacher Sprache bringt.

Dieses Zusatzangebot der ›Tagesschau‹ richtet sich an Menschen mit Lese-, Lern- und/oder Hörschwierigkeiten, an Menschen mit geringen Deutschkenntnissen oder an Menschen, die sich zum Beispiel nach einem anstrengenden Arbeitstag kurz und einfach informieren wollen. Während der Hass in den Kommentarspalten der sogenannten Sozialen Medien fast zu erwarten war, war ich entsetzt und enttäuscht über manche Reaktionen.

Bildungsauftrag wird erfüllt

Ein Kommentar von Katrin Hörnlein in der ZEIT bringt es auf den Punkt: Hier wird der Bildungsauftrag endlich einmal erfüllt

Abschätziger Vergleich mit Kinderfernsehen

In der neuen Sendung soll es keine Fremdwörter, kaum Nebensätze, kurze Worte geben – und es wird deutlicher und langsamer gesprochen. Viele waren entsetzt: das Volk wird für dumm verkauft, das ist wie im Kinderfernsehen. Bei diesem Vergleich regt sich der Widerstand der Autorin, die als Volontärin für das Kinderfernsehen gearbeitet hat und die akkurate Arbeit dort mit der Tagesschau vergleicht: Viele Menschen verstehen die Nachrichten nicht – in der Sendung mit der Maus sitzt jedes Wort

Nachrichten so präsentieren, dass sie jeder versteht

Mit den Nachrichten in einfacher Sprache werden die Nachrichten so präsentiert, dass jeder sie verstehen kann. Vereinfachen bedeutet etwas wegzulassen, dennoch ist es für rund 17 Millionen Menschen eine Möglichkeit endlich teilzuhaben: Menschen mit gesundheitlichen Problemen, kognitiven Einschränkungen – oder Menschen, die nicht gut genug Deutsch sprechen.

Mittwoch, 5. Juni 2024

Wahlrecht (und Informationen) für alle!

Bei einigen meiner Termine zur Kommunalwahl ging es um das Wahlrecht. Selbst Betreuer*innen wussten manchmal nicht, dass alle Menschen wählen dürfen, einigen Klient*innen wurden die Wahlunterlagen vorenthalten. Auch wenn dies (hoffentlich) nur Einzelfälle sind, lohnt sich ein Blick auf die rechtliche Lage.

Inklusives Wahlrecht

2019 hat das Bundesverfassungsgericht den Wahlausschluss von Menschen mit rechtlicher Betreuung für alle Lebenslagen für verfassungswidrig erklärt. Zwar hält das Gericht Einschränkungen denkbar bei „fehlender Einsichtsfähigkeit, um am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen teilnehmen zu können. Der Bundestag entschied sich letztlich für die Rücknahme jeglicher Einschränkung 

Das Bundesverfassungsgericht hat dazu einen Film mit dem Titel: "Meine Grundrechte – Inklusives Wahlrecht" veröffentlicht.

Unterstützung erlaubt

Die Unterstützung ist ausdrücklich vor und während des Wahlvorgangs erlaubt. Vor den Wahlen bezieht sich dies z.B. auf die Beantragung der Briefwahl. Ein Wahlberechtigter mit Behinderung kann sich bei der Antragstellung der Hilfe einer anderen „beliebigen“ Person bedienen (§ 57 BWahlO gilt entsprechend). Es ist also nicht erforderlich, dass die rechtliche Betreuer*in dies tut.
Auch in der Wahlkabine ist Unterstützung erlaubt – dies bezieht sich auf die Kennzeichnung des Wahlzettels ebenso wie auf die Unterstützung beim Wahlgang (falten, Stimmzettel in Wahlurne werfen). Weitere Informationen bietet u.a. die Lebenshilfe.

Grenzen und Möglichkeiten der Wahlhilfe

Die Hilfsperson darf nur den Wählerwunsch erfüllen, die Kenntnisse müssen geheim gehalten werden. Wenn die Entscheidung, wo das Kreuz gesetzt wird, nicht vom Wahlberechtigten ausgeht oder sie durch eine missbräuchliche Einflussnahme erfolgte, handelt es sich um Wahlfälschung.
Schwieriger zu beurteilen ist die Grenze zwischen Beeinflussung und Unterstützung. Der Leitfaden für Assistenzkräfte der Landeszentrale formuliert die Grenzen so: Ein offener, den individuellen Fähigkeiten jedes Einzelnen angepasster, Austausch über die inhaltliche Ausrichtung von Parteien und Kandidaten stellt keine Wahlbeeinflussung dar.

Recht auf Information – und Mitbestimmung

Sicher gibt es Fälle, bei denen die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Einsichtsfähigkeit nicht vorhanden ist. Wieder andere haben schlicht kein Interesse an den Wahlen. Ein Blick auf die Wahlbeteiligung zeigt, dass dies offensichtlich immer mehr Menschen so geht.
Dennoch oder gerade deswegen halte ich Informationen zu den Wahlen für sehr wichtig, denn Mitbestimmung beginnt im Kleinen – informell im Familien- und Freundeskreis, mit gewählten Vertreter*innen beim Wohnen und Arbeiten oder im Verein.

Stufen der Mitbestimmung

Der Bundesverband evangelische Behindertenhilfe hat eine tolle Seite zur Mitbestimmung
Sie unterscheiden zwischen den Stufen Informationen, Mitreden (Mitwirken) und Mitbestimmung. Alle Stufen sind wichtig: Ohne Information kann ich nicht mitreden. Wenn ich nicht mitreden kann, kann ich nicht entscheiden
Mitreden bedeutet: Ich darf meine Meinung sagen. Ich kann sagen: Das ist mir wichtig. Ich kann Vorschläge machen. Aber: andere entscheiden.
Mitbestimmen bedeutet: Jede Meinung zählt. Die Gruppe sucht gemeinsam eine gute Lösung. Bei
einer Abstimmung zählt jede Stimme gleich.

Meine Angebote

Zu den Grenzen und Möglichkeiten der Wahlhilfe habe für die Behindertenbeauftragte der Stadt Karlsruhe einen Workshop durchgeführt. Weitere Angebote finden Sie auf meiner Homepage.

Donnerstag, 30. Mai 2024

Diversität nur wenn es nicht wehtut

Paulina Würminghausen kritisiert anlässlich des Diversity-Tags in der Süddeutschen Zeitung, dass deutsche Unternehmen bei Vielfältigkeit schlecht abschneiden. Da hilft auch ein "Deutscher Diversity-Tag" nicht viel.

Diversität als schwer greifbare Worthülse

In Chefetagen wird der Begriff inflationär verwendet, es gilt als modern und fortschrittlich. Letztlich ist es aber schwer greifbare Worthülsen. Sie wollen die "solidarische und vielfältige Gesellschaft in Deutschland im Arbeitsmarkt abdecken. Sie denken dabei aber nicht an Menschen mit ADHS oder Autismus. Betroffene werden stigmatisiert und strukturell benachteiligt. Auch in anderen Bereichen sieht es nicht besser aus. „Es ist einfach zu sagen, dass man Diversität wichtig findet. Sie aber wirklich zu leben, ist ein ganz anderes Thema.“

Nur mit Verständnis und Akzeptanz funktioniert Diversität auch

Ein erster Schritt wäre nicht abfällig über Kollegen zu reden. Man darf Unordnung oder nicht eingehaltene Termine kritisieren, sollte aber einordnen können, warum sich Mitarbeiter so verhalten. Mit Verständnis und Akzeptanz können Teams diverser sein. Fast genauso schlimm findet die Autorin es aber, wenn Unternehmen ihre diversen Mitarbeiter als "Profitbringer" oder gar "Superhelden" vermarkten.

In diversen Teams werden Menschen weniger diskriminiert

In diversen Teams können Arbeitnehmer ihr volles Potential entfalten, sie sind gesünder und motivierter. Auch die Unternehmen profitieren, denn wer arbeitet nicht gerne für ein Unternehmen, das einen genauso akzeptiert, wie man ist? Egal, ob mit einer anderen Hautfarbe, Religion, Kultur - oder eben mit ADHS.

Donnerstag, 23. Mai 2024

Wählen für alle – viel Spaß beim inklusiven Aktionstag

Unter dem Motto „Wählen für alle“ hat die Berufsfachschule für Arbeitserziehung der Ludwig-Schlaich Akademie einen Aktionstag zur Europa- und Kommunalwahl durchgeführt. Angehende Arbeitserzieher*innen und Beschäftigte der Remstal Werkstätten haben dazu gemeinsam verschiedene Aktionen vorbereitet. Eine ausführlichere Beschreibung des Tages finden Sie auf meiner Homepage und der Facebook-Seite der Ludwig-Schlaich-Akademie.

UN-Behindertenrechtskonvention mit Leben füllen

Das Wahlrecht ist ein zentrales Element einer Demokratie. Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert Maßnahmen, damit alle Menschen dieses Wahlrecht auch wahrnehmen können. Dazu wollten wir einen Beitrag leisten, nachdem wir bereits zur Europa- und Kommunalwahl 2019 eine Veranstaltung hatten.

Europa-Raum mit Puzzle, Sprachen – und einem Chor

Im Europa-Zimmer wurden die Teilnehmenden in verschiedenen Sprachen begrüßt – moderne Technik macht es möglich. An einem Holzpuzzle konnten die Gäste mehr über europäische Länder erfahren. Außerdem ging es ums Geld – es galt die Euromünzen in verschiedenen Ländern zu erraten. Ein besonderer Höhepunkt war der Europa-Chor, unter Anleitung haben die Gäste gemeinsam die Europahymne gesungen.

Auf der schwäbischen Eisebahnen und Affle und Pferdle im Baden-Württemberg-Raum

Im Baden-Württemberg-Zimmer kam ein dreidimensionales Puzzle von Baden-Württemberg zum Einsatz, das ein frühere Kurs zur Landtagswahl erstellt hatte. „Auf der schwäbischen Eisenbahn“ konnten die Gäste durchs Ländle fahren und dabei die Einsatzorte der Arbeitserzieher*innen kennenlernen. Es gab Quizfragen und haptisch konnten die Teilnehmende Begriffe wie Gsälz ertasten. Ein Höhepunkt war der Besuch der schwäbischen Originale Äffle und Pferdle.
 

Wählen üben im Wahlzimmer

Im Wahlzimmer konnten die Gäste mit einer Wahlkabine und einer Wahlurne den Wahlvorgang üben. Hilfe für die Wahlentscheidung bot der Wahlomat, der von einem jungen Mann betreut wurde, der selbst bei der Erstellung beteiligt war. Für das Anschauen der Videos aus unserem Youtube-Kanal war der Trubel fast zu groß, er kann und soll aber auch nach der Veranstaltung genützt werden. Gefreut habe ich mich über die vielen Gespräche über Demokratie und Wahlen, die ich mit den Gästen führen konnte.

Große Tombola und tolles Essen

Die Gäste konnten auch die besten Stationen abstimmen und zurecht waren die Tombola und das tolle Essen vorne dabei. Studierende hatten Preise für eine Tombola gesammelt und konnten so ihre Klassenkasse aufbessern. Weitere Gruppen haben ein tolles Buffet mit Brezeln, Gemüserollen und Mexikostangen erstellt, außerdem gab es Popcorn.
 

Gelebte Inklusion – und viel Spaß

Es war eine tolle Veranstaltung und ein Beitrag für mehr Inklusion, da die Veranstaltung gemeinsam von vielen Menschen geplant und durchgeführt wurde und noch mehr als Besucher*innen kamen. Genauso wichtig – es hat viel Spaß gemacht! Das ist gerade bei einem so ernsten Thema wie Demokratie und Wahlen wichtig. Mein Dank gilt meinen Kolleg*innen für die tolle Zusammenarbeit, den Kursen der Arbeitserzieher*innen und natürlich allen Gästen.

Donnerstag, 16. Mai 2024

Veranstaltungen zu den Europa- und Kommunalwahlen

Vier Wochen vor den Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni habe ich bereits einige Veranstaltungen durchgeführt. Es war eine bunte Mischung von Seminaren, einem Kochkurs, einem Fachgespräch, Planspielen, einem Museumsbesuch und einem Informationsstand. Sie alle haben das Ziel, niederschwellig über die Themen zu informieren – und die Menschen zum Wählen zu motivieren.

Europa und Baden-Württemberg im Fokus

Bereits seit über einem Jahr beschäftigen wir uns bei einer Seminarreihe der VHS Stuttgart und ATRIO mit den Themen. Bei der Reise durch Europa haben wir einiges über Land, Leute und Sprache gelernt. Im Herbst 2023 ging es dann um Baden-Württemberg und die Eigenheiten der Menschen.

Eine kulturell-kulinarische Reise durch Europa

Eine Kombination aus Kochkurs und Gesprächen über Europa habe ich mit einer Kollegin für die VHS Stuttgart durchgeführt. Bei Quiche, Paella und Tiramisu haben wir einiges über Frankreich, Spanien und Italien erfahren.

Geschichte zum Anfassen


Bei einem Rundgang durch das Haus der Geschichte lernten hörten und sahen wir Geschichte(n) aus dem Südwesten. Eine begehbare Karte zeigt, wie sich unter Napoleon aus einem Flickenteppich mit 200 Gebieten das heutige Baden-Württemberg herausbildet hat. Die Karte ist der Ausgangspunkt für einen eindrucksvollen Gang durch die Landesgeschichte.

Spielend Politik begreifen

Bei Planspielen zur Kommunalwahl schlüpften die Teilnehmenden in die Rolle von Kandidat*innen, Mitglieder von Bürgerinitiativen und Medien spielen die Realität vereinfacht nach. Neben Seminaren für Bundesfreiwilligen habe ich das Spiel auch im Unterricht bei Jugend- und Heimerzieherinnen.
 

Fachgespräch zu Grenzen und Möglichkeiten der Wahlhilfen

Bei einem Workshop in Karlsruhe, den die Behindertenbeauftragte der Stadt Karlsruhe mit dem Seminar für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte Sonderpädagogik organisiert hat, ging es um Möglichkeiten und Grenzen der Wahlhilfe. Menschen mit Einschränkungen darf und soll gehalten werden – organisatorisch und inhaltlich. Dank der Beispiele der Teilnehmenden – Studierende, Schulleiterin und rechtliche Betreuer*iinnen von Menschen mit Behinderungen Beispiele aus der Praxis – konnten wir Möglichkeiten, aber auch Grenzen der Wahlhilfe erarbeiten.

Informationsstand zu Wahlen in einfacher Sprache

In der schönen Altstadt von Rottenburg am Neckar war ich mit der der Leiterin der Abteilung Jugend der Stadt bei einem Stand, um über die Wahlen in leichter Sprache aufzuklären. Es ergaben sich viele tolle Gespräche mit Multiplikator*innen wie Lehrkräften, Kandidierenden und interessierten Bürger*innen, die wir mit Materialien und Puzzles versorgen konnten.

Themen der Wahlen bei Seminaren

Bei meinen Seminaren zu für Bildungswerkstätten und Akademien ging es immer wieder um die Themen der Wahlen, u.a. bei EU und der Osten, die Zukunft unserer Gesellschaft und den Gefahren des Populismus. Die anstehenden Wahlen in Deutschland und den USA werden weiter Thema bleiben.

Sonntag, 7. April 2024

Wie barrierefrei ist der Bundestag?

Anlässlich des Einzugs der ersten gehörlosen Abgeordneten in den Bundestag fragt Florian Kappelsberger in der Süddeutschen Zeitung, wie barrierefrei der Bundestag ist.

Nur wenige Menschen mit Behinderungen im Bundestag

Im Bundestag sitzen nur wenige Menschen mit Behinderung. Mit Heike Heubach ist nun die erste gehörlose Abgeordnete in den Bundestag nachgerückt. Sie verständigt sich mit Gebärdensprache. In den letzten Jahren hat sich einiges getan: Ein Dolmetscherteam für Gebärdensprache begleitet sie, bei Bedarf stehen auch Bildtelefone, blindengerechte Tastaturen oder Assistenten zur Verfügung.
Heike Heubach ist bisher zufrieden, die Verwaltung ist engagiert und sie konnte überall teilnehmen.

Kritik an fehlender Barrierefreiheit

Stephanie Aeffner, die erste Frau im Rollstuhl im Parlament, ist weniger zufrieden. Immer wieder muss sie Umwege nehmen, auch hat sie noch keine normgerechte Rollstuhltoilette gefunden im Bundestag gefunden.  Auch im Plenum trifft sie immer wieder auf Hindernisse. Der Behindertenbeauftragte verweist, dass die Bedarfe ebenso vielfältig sind wie die Einschränkung.

Hindernisse auch außerhalb des Parlaments

Auch außerhalb des Parlaments gibt es Hindernisse, der Personalmangel ist massiv, so kommen auf mehr als 80 000 gehörlose Menschen nur 800 Dolmetschende. Auch die Reiseplanung ist aufwändig, da Hilfe beim Zustieg nicht immer verfügbar ist. Im Parlament sind Menschen mit Behinderungen unterrepräsentiert, in der letzten Legislaturperiode gab es nur 23. Allerdings ist die Zahl nicht klar zu bestimmen, da einzelne Abgeordnete möglicherweise nicht an die an die Öffentlichkeit treten.

Defizite in der Lokalpolitik

In der Lokalpolitik hatte Heike Heubach mit größeren Problemen zu kämpfen, so stand ihr im Stadtrat kein Dolmetscher zur Verfügung. Dies kann ein Problem sein, denn Politik beginnt an der Basis. Zudem beklagt Aeffner die Hindernisse in den Köpfen. Im Wahlkampf wurde sie oft gefragt, ob sie den Job überhaupt machen kann. Häufig würden Menschen mit Einschränkungen, die sich politisch engagieren wollen, einfach nicht ernst genommen.

Begegnungen wichtig

Für den Behindertenbeauftragten Jürgen Dusel will Begegnungen schaffen: Indem Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam zur Schule gehen, Alltag teilen, zusammen Politik gestalten. Der Bundestag als politisches Zentrum des Landes sollte hier Vorbild sein.

Donnerstag, 14. März 2024

Wie kann man Ableismus verlernen?

In einem eindrucksvollen Essay beschreibt Rebecca Maskos im SPIEGEL Rebecca Maskos über die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung im Alltag - und wie man Ableismus verlernen kann

Der Körper als Querulant, Provokation und Projektionsfläche

Die Autorin bezeichnet ihren Körper als Querulant „viel zu klein, nicht symmetrisch,
die Beine krumm und kurz, der Hals auch, die Arme zu lang, der Rücken schief.“ Er ist ebenso eine Provokation für das Medizinsystem, das ihn vollkommen und heilen möchte. Ihr Körper ist „eine Projektionsfläche: für all die Ängste und den Abscheu vor Behinderung, vor der größten anzunehmenden Körperkatastrophe. Sie wird gelobt, wenn sie ihren Rollstuhl einlädt, bemitleidet und nach Sex und Kindern gefragt.

Ableismus – systematische Abwertung

Die Autorin nennt diese Phänomene Ableismus – er reduziert Menschen ebenso wie Sexismus oder Rassismus auf ein Merkmal. Wenn ihr etwas gelingt, dann trotz ihrer Behinderung. Ableismus ist vielfältiger als der Begriff „Behindertenfeindlichkeit“, er kommt verkleidet als Kompliment, Mitleid und „in Form des Drucks, gesund und leistungsfähig zu sein.“ Obwohl die Grenzen zwischen Behinderung und Nichtbehinderung fließend sind, konstruiert Ableismus ein Entweder-Oder

Strukturelle Ausgrenzung in den Medien

Die Autorin beklagt die systematische Ausgrenzung. Dies reicht von Märchen von Sieben Zwergen über Filme, in denen Behinderte den Tod herbeisehnen hin zu Thomas Gottschalk, wie er 2023 einen jungen Wettkandidaten im Rollstuhl behandelt. Diese strukturelle Ausgrenzung geht bis in die Antike zurück.

Eugenik – die Verbesserung des Erbguts

Während der Industrialisierung entstanden Anstalten. Mit medizinischen Klassifikationen und Diagnosen versuchte man, ihre querulantische Naturhaftigkeit unter Kontrolle zu bringen.
Die Ideologie der Eugenik mit dem Ziel der Verbesserung des Erbguts führte zu Gesetzen, die Ehen mit Kranken verboten. Die Nationalsozialisten ermordeten unter dem Begriff „Euthanasie“ 300.000 behinderte Menschen.

Abstand halten aus Angst

Nur drei Prozent aller Beeinträchtigungen sind angeboren, der Rest entsteht durch Unfälle oder chronische Krankheiten. Durch Ausgrenzung kann man Behinderung ausblenden. „Was man fürchtet, hält man auf Distanz.“ Menschen fragen nicht die Autorin, sondern ihre Begleiter, machen mehr Platz als nötig. Auch ihrer Eltern wollten, dass sie sehr gut ausgebildet ist, denn einen Ehemann würde ich sicher nicht finden. Viele behinderten Frauen werden immer noch zur Sterilisation gedrängt, sie leben mit einem hohen Risiko, sexualisierte Gewalt zu erleben.

Sonderwelten abschaffen

Die Autorin kritisiert die „Maschinerie der Sonderwelten“, durch die das gefürchtete Szenario Behinderung aus dem Alltag entfernt und das »Problem« der Betreuung auf kapitalistisch-effektive Art erledigt wird. Noch immer arbeiten über 310.000 Menschen in Werkstätten und rund 200.000 leben in stationären Einrichtungen – von der in der Behindertenrechtskonvention geforderten Abschaffung der Sonderwelten ist Deutschland weit entfernt.

Ableismus verlernen

Wir müssen Ableismus verlernen: kein Geld für Sonderwelten, sondern mehr Geld in Assistenz und Pflege, inklusive Arbeitsorte und ein Schulsystem, das allen Kindern gerecht wird.
Ableismus verlernen heißt auch, sich zu fragen, wie nah man behinderte Menschen an sich heranlässt und ihnen zuzuhören: Texte zu lesen, ihnen zu folgen. „Sie nicht mehr zu »anderen« zu machen. Und die Affekte gegenüber »fremden«, »anderen« Körpern zu verlernen: Angst, Ekel, Scham, Faszination.
Ableismus zu verlernen hieße, auch querulantische Körper zu lieben – und sich von ihrer Schönheit überraschen zu lassen.“

Montag, 19. Februar 2024

Von Leonberg zur Reise um die Welt

Mit einem Seminar über Leonberg endete die Seminarreihe zu Baden-Württemberg, die ich für ATRIO Leonberg und VHS Stuttgart durchgeführt habe. Schon im März startet eine neue Reihe mit einem Blick auf Staaten weltweit.

Wir können alles – außer Hochdeutsch

Die Seminarreihe begann im Oktober mit einem Überblick über Baden-Württemberg. Beim zweiten Termin ging es um die Geschichte vom Heidelbergmensch vor 600.000 Jahren über die Entstehung von Baden und Württemberg und Königin Olga hin zur Politik heute. Tüftler wie Bosch und Daimler standen im Mittelpunkt des Termins zur Wirtschaft – noch heute sind die von ihnen gegründeten Firmen wichtig. Auch kulturell hat Baden-Württemberg einiges zu bieten – Museen, Opern und Künstler von Friedrich Schiller hin zu den Fantastischen Vier.

Leonberg – Johannes Kepler und eine Hunderasse

Beim letzten Termin im Februar ging es zunächst um die Geschichte: Viele Elemente der Geschichte gibt es noch heute: das Schloss mit dem Pomeranzengarten, der Pferdemarkt aber auch die Erinnerungsstätten über die Nazizeit. Heute können die Menschen selber mitgestalten – bei der Wahl von Oberbürgermeister und Gemeinderat und der Mitarbeit in Vereinen. Die Teilnehmer*innen erzählten, wie sie Sport und Kultur in Vereinen nutzen. Außerdem ging es um berühmte Leonberger – die Hunderasse „Leonberger“ und den Astronom Johannes Kepler, der in Leonberg geboren ist.

Die Reise um die Welt

Nachdem wir uns im vorletzten Semester über europäischen Staaten wünschten sich die Teilnehmer*innen einen Blick auf Länder weltweit – Sprache, Musik, Essen, Kultur und Geschichte. Deshalb beginnt ab März eine Reise um die Welt. Weitere inklusive Angebote finden Sie im Programm der VHS Stuttgart.

Freitag, 16. Februar 2024

Erfolge und Hindernisse bei der Inklusion im Beruf

Die Süddeutsche Zeitung berichtet über eine junge Frau mit fetalem Alkoholsyndrom, die es nach langem Kampf zu einem festen Job in einem Friseurbetrieb geschafft hat. Viele Betriebe umgehen die Schwerbehindertenquote immer noch.

Jeder Mensch hat einfach verdient, eine Zukunft zu haben

Über Umwege kam Catrin zum Friseursalon, denn die erste Ausbildung zur Hotelfachfrau brach sie ab. Zunächst übernahm die Agentur für Arbeit die Ausbildungsvergütung, jetzt hat sie eine Festanstellung. Die junge Frau hat ein Fetales Alkoholsyndrom und damit eine Schwerbehinderung.
Eine Friseurin, die nebenberuflich am Berufsförderzentrum erkannte das Potential und sagt zurecht:
„Jeder Mensch hat einfach verdient, eine Zukunft zu haben. Und wenn nicht hier in Deutschland, wo dann?“

Hohe Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Schwerbehinderung 

In Deutschland leben rund 7,8 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung. 11,5 Prozent von ihnen sind arbeitslos. Und das, obwohl sie überdurchschnittlich qualifiziert sind – die Hochschulabschlussquote liegt bei Arbeitslosen mit Behinderungen knapp 10 Prozent über der von Arbeitslosen ohne Behinderung. Trotz allem ist die Arbeitslosenquote bei ihnen fast doppelt so hoch. Trotz der Verpflichtung zur Einstellung von Schwerbehinderten, beschäftigt jedes vierte Unternehmen keinen einzigen Menschen mit Behinderung – ein Viertel von den mehr als 170 000 beschäftigungspflichtigen Unternehmen in Deutschland.

Umstrittene Quote 

Die Quote ist umstritten, denn Unternehmen können sich freikaufen. Seit Beginn des Jahres liegt die Ausgleichsabgabe bei 720 Euro, dafür wurde das Bußgeld abgeschafft, das bei vorsätzlichem Vorgehen verhängt werden könnte. Der Friseursalon muss die Quote nicht umsetzen, da sie weniger als 20 Beschäftigte haben. Dennoch nimmt sie regelmäßig Praktikanten vom Berufsförderzentrum auf. Die Chefin zweifelt an den Quoten: „Die Chefs müssen erst einmal davon abkommen, dass Gewinnoptimierung das oberste Ziel ist.“

Deutschland tut zu wenig für Menschen mit Behinderung 

Die Vereinten Nationen bescheinigten Deutschland zahlreiche Mängel bei der Umsetzung des UN-Behindertenrechtskonvention. Barrierefreies Bauen ist immer noch nicht verpflichtend, Kinder und Jugendliche haben immer noch Schwierigkeiten, eine Ausbildung und einen Job zu finden.
Unterstützung für Unternehmen

Führen Kürzung zu mehr Menschen in Behindertenwerkstätten?

Ein Unternehmen in Nürnberg zeigt, dass die Einstellung von Menschen mit Behinderungen ein Vorteil darstellen können: „Der Zusammenhalt im Team größer als je zuvor“. Er fordert weniger Bürokratie und Unterstützung bei der Einstellung und Betreuung. Nun drohen Kürzungen bei der Arbeitsmarktförderung. Die Autoren befürchten, dass dann noch mehr Menschen in Behindertenwerkstätten arbeiten. Aktuell sind in dort 300 000 Menschen beschäftigt, die monatlich nur 250 Euro verdienen. Nur 0,3 Prozent der Beschäftigten schaffen es pro Jahr, in einen regulären Job zu wechseln. Die Grünen-Abgeordnete Katrin Langensiepen nennte dies das „bestausgeweitete Billiglohn-Modell der EU“.

Mittwoch, 24. Januar 2024

Deutscher Pass am besten nur für Gesunde?

Constanze von Bullion beklagt in der Süddeutschen Zeitung die Neuregelung zur Einbürgerung. Erleichterungen gibt es nicht für alle. Wer krank ist oder Angehörige pflegt, hat Pech gehabt.

Wer staatliche Unterstützung braucht, hat keinen Anspruch mehr auf Einbürgerung

Das neue Staatsangehörigkeitsrecht erleichtert die Einbürgerung. Die Fristen werden verkürzt, der Doppelpass wird erleichtert. Für bestimmte Gruppen werden Einbürgerungen erschwert: Es sind Menschen mit Behinderung, pflegende Angehörige, auch Alleinerziehende oder Bezieher von Mini-Renten.

Familie mit behindertem Kind ohne Aussicht

Der Artikel beschreibt eine Familie, die einen behinderten Sohn haben. Nach acht Jahren steht in einen eigentliche das Recht auf Einbürgerung zu – nun bleibt nur der Umweg per Härtefallantrag.
Ulrike Schwarz, Projektleiterin bei einem Verein, der Familien mit Migrationsgeschichte und behinderten Angehörigen berät, macht dies wütend. „Wollen wir nur die, die funktionieren, die 150 Prozent Leistung bringen?" Die FDP verteidigt ihren Ansatz, dass Leistung belohnt werden soll. Sie hält es nicht für verfassungswidrig, dass Leute, die sich anstrengen können wie sie wollen, keine Chance auf schnelle Einbürgerung haben.

Donnerstag, 4. Januar 2024

Menschen mit Behinderung: Illusion statt Inklusion

Cristina Helberg berichtet in der ZEIT über die Situation von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt: Illusion statt Inklusion.

Nur wenige Unternehmen beschäftigen Menschen mit Behinderungen.

Rund 300.000 Menschen arbeiten in Behindertenwerkstätten, nur sehr wenige gelingt der Wechsel in einen regulären Job. Auch die Verpflichtung Menschen mit Behinderung einzustellen, wird von vielen Unternehmen gebrochen: 45.000 Unternehmen beschäftigen keine Menschen mit Schwerbehinderung.

Veränderungen bei Verpflichtung

Bisher mussten Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitsplätzen eine Ausgleichszahlung zahlen, wenn sie nicht fünf Prozent schwerbehinderte Menschen einstellen. Bei Vorsatz drohten Bußgelder. Diese Bußgelder wurden in der Praxis selten verhängt und wurden mit Beginn dieses Jahres eingestellt. Im Gegenzug wird die monatliche Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die keine Behinderten einstellen, auf bis zu 720 Euro angehoben.

Eines Rechtsstaats unwürdig

Die Kritik an der Abschaffung des Bußgelds ist groß, „Es ist eines Rechtsstaates unwürdig, dass man die Schwächsten nicht schützt", sagt Franz-Josef Düwell, ehemaliger Richter am Arbeitsgericht und Sachverständiger beim Gesetzgebungsverfahren. Der Sozialverbband Deutschland sieht eine schwere Diskriminierung „Wenn falsches Handeln keine Konsequenzen hat, dann ändert sich auch nichts“.

Ausgleichsabgabe steuerlich absetzbar

Die FDP hatte auf die Streichung gedrängt und mit Bürokratie begründet. Die erhöhte Ausgleichsabgabe ist für viele aber kein ausreichender Ausgleich. Die Abgabe ist steuerlich absetzbar, sie wird wohl also kein Druckmittel sein: Daran, dass Zehntausende Arbeitgeber keine Menschen mit Behinderung einstellen, dürfte sich also vorerst nichts ändern.