Jonas Wenig kritisiert in der Süddeutschen Zeitung, dass die Empörung über die Witze des Komikers Luke Mockridge Menschen mit Behinderung nicht hilft.
Gratismoral bei der Empörung über Mockridge
Für den Autor zeigen die Reaktionen auf die Witze von Luke Mockridge, dass Menschen mit Behinderungen die Minderheit ist, auf die sich die gesamte Gesellschaft am ehesten als „schützenswert“ einigen kann, „also immerhin gratismoralisch, wenn es wirklich nichts kostet – von ziemlich weit rechts bis ganz nach links, von sehr jung bis sehr alt, von weiß bis nicht-weiß.“ Als Björn Höcke über Inklusion als Irrweg schwadronierte, wiesen selbst AfD-Vertreter diese Position zurück.
Für den Autor gibt es zwei Gründe, warum Menschen sich für Behinderte so in die Bresche werfen – einen naheliegenden und einen versteckten und sehr perfiden.
Jeden könnte eine Behinderung treffen
Der naheliegende Grund ist, dass sich viele vorstellen können, selbst eine Behinderung zu haben. Sie kennen Menschen mit Behinderung oder haben selbst gesundheitliche Einschränkungen. Die Identifikation fällt leichter als mit trans-Personen oder Ausländern.
Behinderte stellen keine Gefahr da
Der perfide Grund ist der Gratismut sich über Mockridge zu empören: Es kostet nichts, weil Behinderte für niemanden eine „Gefahr“ darstellen. Sie konkurrieren nicht um gesellschaftliche Ressourcen: Behinderte nehmen niemandem den Arbeitsplatz, die Wohnung oder allgemein gesprochen Status und Wohlstand weg. Andere Gruppen kämpfen lautstark für ihre Rechte. Für Behinderte hingegen gibt es aus einer Position der Überlegenheit mitleidige Blicke, Gesten der Wohltätigkeit und natürlich: alle zwei Jahre Applaus und Anerkennung bei den Paralympics – gerne Hand in Hand mit Inspirations-Porno.
Gesellschaftliche Teilhabe und eine faire Chance
Es geht nicht darum, andere zu inspirieren oder beschützt zu werden - es geht schlicht um gesellschaftliche Teilhabe und eine faire Chance.
Es gibt wenige prominente Menschen mit Behinderungen: Wolfgang Schäuble wäre kaum so erfolgreich gewesen, wenn er seine Politikerkarriere im Rollstuhl gestartet hat. Da es nicht daran liegen kann, dass Menschen mit Behinderungen dümmer, unbegabter und fauler sind, muss es an den Bedingungen liegen, die ihren Aufstieg oder nur ihre Teilhabe behindern. Selbst eine reiche Stadt wie München schafft es nicht, Stolperschwellen für Menschen im Rollstuhl zu beseitigen. „Wenn es schon bei einfachen physischen Barrieren in staatlicher oder kommunaler Verantwortung derart hapert, braucht man sich über Barrieren in vielen Köpfen kaum zu wundern.“
Ausgrenzung in Schulen und Konzerten
Inklusive Klassen finden auf dem Papier alle super – aber wenn die eigenen Kinder betroffen sind, finden manche Förderschulen nicht so schlimm, man wolle die armen behinderten Kinder ja auch nicht überfordern. Auch bei Konzerten oder im Fußallstadien werden Behinderte ausgegrenzt. Sie werden zusammengepackt in separaten Bereichen, die Plätze mögen dann barrierefrei sein, inklusiv im Sinne eines gemeinschaftlichen Erlebens sind solche Events in keinem Fall.
Sich über schlechte Komiker emporen ist noch keine Inklusion
Der Autor fragt sich, wie erfolgreich die Interessenvertreter von Behinderten ihren Job machen – Inklusion ist nur ein Felder der notwendigen Modernisierung. Wenn Politik und Gesellschaft entscheidet, ernst gemeinte Inklusion nachrangig zu behandeln, ist das eine legitime Einschätzung, aber: Dank für die vielen Tränen über geschmacklose Witze – hilft nur ernsthaft gerade nicht weiter.“