Donnerstag, 9. März 2023

Behindert und auf Jobsuche

Eine Doku des Norddeutschen Rundfunks  begleitet behinderte Menschen bei der Arbeitssuche.  In der Dokumentation werden einige Menschen mit Behinderungen bei ihrer Jobsuche begleitet, meistens mit großen Schwierigkeiten, aber in einigen Fällen durchaus mit Erfolg. Besondres erschütternd ist, dass eine Person jahrelang dagegen kämpfen musste, abgestempelt zu werden.

Recht auf Job auf dem ersten Arbeitsmarkt funktioniert nicht

Obwohl der Übergang auf den Arbeitsmarkt staatlich mit viel Geld und Personal gefördert wird, haben ihn bisher von rund 320.000 Beschäftigten in den Behindertenwerkstätten nur ganze 1.500 Personen geschafft. Weniger als ein halbes Prozent: eine verheerende Bilanz. Für Ulrich Schreibner, der früher selbst Geschäftsführer war, haben Werkstätten gar kein Interesse an der Vermittlung.
Aber auch die Unternehmen kommen ihrer Pflicht nicht nach. Sie zahlen lieber eine Abgabe (im Film zurecht Peanuts genannt).

Positive Beispiele

Der Film zeigt aber auch Positives. Zum einen die Probanden, die mit viel Engagement versuchen dem System zu entkommen. Zum anderen zeigt das Beispiel einer Behindertenwerkstatt, dass es auch anders geht. Hier kümmern sich Jobcoaches um die Mitarbeiter, durch ein anderes Honorarsystem haben die Werkstätten keinen Anreiz, Mitarbeiter im System zu halten.

Samstag, 18. Februar 2023

Inklusion - die andere Zeitenwende

In der Süddeutschen Zeitung fordert Heribert Prantl eine Zeitenwende der anderen Art – ein Ausgleich der Ungerechtigkeiten durch Behinderung.

Inklusion als substanziell Demokratisches

Prantl betont, dass es sich bei Inklusion um ein gewaltiges demokratisches und gesellschaftliches Projekt handelt -  um die Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die normale Alltagswelt, so gut es nur geht. Es geht um Zugänglichkeiten – zu Gebäuden und Verkehrsmitteln, aber auch zur Gesellschaft: Bildung, Ausbildung, das Arbeits- und Freizeitleben. Es ist ein mühelvoller Lernprozess für alle Beteiligte. Inklusion ist ein anderes Wort für Sozialstaat; es ist ein anderes Wort für Demokratie, weil Demokratie mehr ist als ein Wahlritual; sie ist eine Wertegemeinschaft.

Eine Frage der Gerechtigkeit

Eine Behinderung kann jeden treffen, nur rund fünf Prozent an behindert, alle anderen sind im laufe des Lebens durch Unfall oder Krankheit betroffen. Es ist eine Frage des Schicksals. Eine fürsorgliche Gesellschaft hat deshalb die Aufgabe, dass diese Menschen reale Chancen haben, Prantl nennt dies „Schicksalskorrektur“.

Der wichtigste Satz unserer Republik

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – das Grundgesetz mit diesem grandiosen Artikel 1 wird nächstes Jahr 75 Jahre, seit 30 Jahren steht in Artikel 3 "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Es gilt die Ausgrenzung eines Zehntels der Gesellschaft zu beenden – „Inklusion beginnt daher mit der Sichtbarmachung; und sie verwirklicht sich in exzellenter medizinischer Behandlung und Begleitung und kreativer sozialer Betreuung.“ Die Grundsätze bedingen ein Nachteils- und Schicksalsausgleich, d.h. eine Bevorzugung von Kindern mit Behinderung ist geboten. Die Demokratie muss alles dafür tun, dass alle dazugehören: Zugang zum Gesundheitssystem, Bildung und Arbeitsleben.

Inklusion als gewaltiger Mehrwert

Für die Schule fordert Prantl eine „kluge Pädagogik im Einzelfall“, eine räumliche Eingliederung allein reicht nicht. Inklusion darf nicht zum Streichen von Förderschulen genutzt werden, sie können Kindern einen geschützten Raum mit wenig Leistungsdruck bieten. Auch diese Zeitenwende kostet Geld, hat einen gewaltigen Mehrwert, weil die Kultur des Helfens die Gesellschaft wunderbar verändern kann.
Eine inklusive Gesellschaft entwickelt frühzeitig ein anderes Bild vom Menschsein: Es wird nicht mehr nur am Lineal von Ökonomie und Leistungsfähigkeit gemessen. Hilfebedürftigkeit gehört zum Menschsein: Das lehrt die Inklusion.

Die Stärke misst sich am Wohl der Schwachen

Der mutige Satz "Die Stärke eines Volkes misst sich am Wohl der Schwachen" steht es in der Präambel der Schweizer Verfassung. Die sogenannten Schwachen brauchen gute Hilfe und Assistenz, dann sind sie stark. Und ein starker Staat ist ein Staat, der sich um das Wohl der Schwachen kümmert, dabei merkt, dass die Schwachen gar nicht so schwach sind - und dann ihre Stärken, die Perfektion des Unperfekten, zu schätzen lernt. Das ist dann wirklich eine Zeitenwende.

Samstag, 28. Januar 2023

Der Ukraine-Krieg in leichter Sprache

Es ist schwierig und emotional über den Ukraine-Krieg zu reden. Bei Menschen mit Behinderung gilt dies in besonderem Maße, das das Thema angstbehaftet ist. Es gibt gute Informationen in leichter Sprache, die ich auch in einem meiner Seminare eingesetzt habe.

Seminar in leichter Sprache

Bei der Reihe „Allgemeinbildung einfach erklärt“, die ich in Kooperation von VHS Stuttgart und ATRIO Leonberg durchführen, können die Teilnehmenden die Themen bestimmen. Da ich es wichtig finde über alle Probleme zu reden, bin dich gerne dem Wunsch nachgekommen. Beim Seminar ging es icht nur um Gründe und Verlauf des Krieges, sondern auch die Sorgen, die das Thema auslösen. Weitere Informationen finden Sie auf meiner Homepage

Informationen zum Ukraine-Krieg in leichter Sprache

Besonders gut gefallen haben mir das Dokument der Lebenshilfe, besonders der Abschnitt über den Umgang mit Angst. Die Expert*innen schlagen vor, mit anderen über Ängste zu reden, aber auch mal die Nachrichten auszuschalten, wenn es zu viel wird.
Weitere interessante Quellen sind die Angebote des NDR in leichter Sprache und Nachrichtenleicht .

Samstag, 21. Januar 2023

Wie Kinder behindert gemacht werden

Das Politikmagazin Monitor berichtet über Inklusion an Schulen und einen unglaublichen Vorwurf: Immer mehr Kinder in Regelschulen werden für „behindert“ erklärt – mit schwerwiegenden Folgen für sie und ihre Familien.

Deutlicher Anstieg aufgrund finanzieller Gründe

Die Zahl der Kinder mit geistiger Behinderung ist deutlich gestiegen – von rund 78.000 2009 auf über 100.000 2021. Ein möglicher Grund: Schulen erhalten mehr Ressourcen. Der Erziehungswissenschaftler Hans Wocken beklagt, dass wahllos Kinder etikettiert werden, die früher als ganz normale, schwache Schüler galten.

Inklusion hat noch gar nicht angefangen.

Das Fazit von Hans Wocken ist entsprechend negativ: Im Grunde genommen hat Inklusion noch gar nicht angefangen. Denn der Beginn der Inklusion wäre, die Schüler mit Behinderung dürfen die Sonderschule verlassen." Ein Besserung ist nicht in Sicht – im Gegenteil. Die Kultusministerkonferenz freut sich, dass die Zahl der Schüler mit Behinderungen an Regelschulen stetig steigt.

Donnerstag, 22. Dezember 2022

Die Anstalt über Inklusion

Die Anstalt ist eine meiner liebsten Satiresendungen, da sie durch gute Recherche viele Probleme auf den Punkt bringen. In der letzten Ausgabe des Jahres 2022 ging es um das Thema Inklusion. Wie immer bietet die Anstalt einen Faktencheck an, aus dem ich auch hier zitiere.

Cripping

Cripping bedeutet, dass nicht-behinderte Schauspieler*innen Menschen mit Behinderung spielen beziehungsweise sich entsprechend verkleiden – sowas wie Blackfacing.
Besonders kritisiert werden Charity-Sendungen, in denen Menschen zu Geldspenden aufgerufen werden und Menschen mit Behinderungen zu Bittstellern degradiert werden. Ein besonders fragwürdiges Beispiel zeigt eine Sendung des Österreichischen Fernsehens, in dem ein vierjähriges Kind mit dem Roller um DJ Ötzi kurvt.

Behindertenwerkstätten

In diesem Blog habe ich schon mehrfach über Kritik an Behindertenwerkstätten berichtet. In der Sendung werden zentrale Kritikpunkte aufgezeigt.  
Behindertenwerkstätten machen einen Umsatz von 8 Milliarden – eine Summe, die sich aus rund 5 Milliarden vom Staat und Arbeitsaufträgen zusammensetzt. Sie produzieren konkurrenzlos billig- die Löhne betragen durchschnittlich 1,35 Euro. Da sie keine „richtigen“ Arbeitskräfte sind, steht ihnen nicht der Mindestlohn zu. Das ist für viele Firmen lukrativ – Unternehmen zahlen lieber eine Sonderabgabe, wenn sie die Schwerbehindertenquote nicht verfüllen und lassen dann billig in Behindertenwerkstätten produzieren. Der Bericht verweist auch auf die ernüchternde Quote der Vermittlungen auf den ersten Markt – im letzten Jahr waren es 80 der rund 300.000 Beschäftigten.

Verkehrsunfälle

In ihrem Solo geht Barbara Ruscher auf eine Ursache ein, warum die Zahl an behinderten Menschen steigt – Verkehrsunfälle, die vor allem durch rasende Männer verursacht werden. Allein 2021 kam es zu über 324.000 schweren Verletzungen.

Inklusion im Schulsystem

Auch die Probleme bei der Inklusion in der Schule werden eindrucksvoll aufgezeigt. Da die Bundesländer unterschiedliche Wege gehen, ist ein Vergleich schwierig. In einigen Fällen bleib es dabei Sonderschulen in Förderschulen umzubenennen.  Deren Ergebnisse sind ernüchternd: Über 70 Prozent verlassen die Förderschule ohne berufsqualifizierenden Abschluss und bleiben in der Regel ihr Leben lang auf das staatliche Fürsorgesystem angewiesen, Fazit: Die Kinder ziehen sich gegenseitig runter. Fast 80-90 Prozent der Förderschüler*innen kommen aus Familien mit wenig Geld und Migrationshintergrund.

Kultusministerkonferenz

Im internationalen Vergleich hat Deutschland ein so hoch differenziertes Förderschulsystem wie kein anderes Land. Der Abschnitt zur Kultusministerkonferenz zeigt leider, dass mein Bundesland Baden-Württemberg in diesem Bereich besonders schlecht abschneidet. Lediglich Bayern kann mithalten, denn hier hat sich die Zahl der Kinder auf Förderschulen sogar noch erhöht.

Freitag, 18. November 2022

Inklusion in der Kunst - Das Atelier Goldstein

Im Magazin der Süddeutschen Zeitung geht es um ein Atelier für Künstler mit geistiger Beeinträchtigung. Ihr Ziel:  wenn es das Atelier nicht mehr braucht.

Das Atelier Goldstein

Jahrhundertelang wurden die Werke von Künstlerinnen und Künstlern mit geistiger Beeinträchtigung übersehen oder vernichtet. Heute bekommen sie endlich Aufmerksamkeit – auch, weil einige sich auf dem Kunstmarkt durchsetzen. Im Atelier Goldstein in Frankfurt arbeiten 14 Künstler*innen mit unterschiedlichen Behinderungen: Außer der Behinderung gibt es eine weitere Bedingung für die Aufnahme: eine außerordentliche Begabung. Die Behinderungen spielen im Alltag nur eine geringe Rolle - es wird viel gesprochen, aber über Kunst, nicht über Befindlichkeiten. Erfreulich ist auch, dass sich einige auf dem Kunstmarkt durchsetzen konnten.

Ziel: nicht mehr gebraucht werden

Vor rund 100 Jahre begründete der Psychiater Hans Prinzhorn eine Sammlung mit Werken aus psychiatrischen Einrichtungen. Später wurde das Konzept verfeinert, aus der „Kunst von Geisteskranken“ wurde endlich eine relevante Kunst. Am Ziel sind sie noch nicht, denn immer noch wird viel zu oft die Behinderung thematisiert. Ihr Ziel: Im Grunde arbeiten wir an der eigenen Auflösung. Weil wir erst am Ziel sind, wenn es das Atelier Goldstein nicht mehr braucht.«


Donnerstag, 20. Oktober 2022

Fortbildung "Inklusive politische Jugendbildung"

Bei einer Online-Fortbildung des Deutschen Volkshochschulverbands leitete ich gemeinsam mit der Leiterin der Stabstelle Inklusion der VHS Stuttgart einen Workshop. Ziel war über unsere Arbeit zu informieren und den Teilnehmer*innen Mut zu machen, inklusive Angebote anzubieten.
 

Vielfältige Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft


Anhand konkreter Beispiele zeigten wir auf, welche Themen, die für inklusive Angebote geeignet sind: Wahlen und Themen der Mitbestimmung, aktuelle Politik und vor allem Themen aus der Lebenswelt. Ebenso vielfältig sind die Veranstaltungsformen, die von einzelnen Seminaren über Besuche von Politiker*innen oder Museen hin zu digitalen Formaten reichen.
 

Kooperation als Erfolgsrezept


Ein wichtiger Faktor für das Zustandekommen von Veranstaltungen sind Kooperationen. Sie ermöglichen Vernetzung in der Stadtgesellschaft und die Umsetzung neuer Themen. Außerdem sind sie eine gute Chancen Projektmittel zu akquirieren, wie Katrin Wahner am Beispiel ihrer Volkshochschule eindrucksvoll aufzeigte. Die Teilnehmenden waren beeindruckt: „Ich will nach Stuttgart“ kommentierte eine Teilnehmerin im Chat.
 

Pragmatisches Vorgehen ist gefragt


Der Organisationsaufwand inklusiver Kurse ist hoch, da viele Teilnehmenden auf vielfältige Unterstützung angewiesen sind. Für Volkshochschulen ist es aber wichtig, für alle Menschen Angebote zu unterbreiten. In der Diskussion zeigten sich, dass der Aufwand und die Unsicherheit für viele Volkshochschulen ein großes Hindernis darstellen. Hier war unser Appel pragmatisch vorzugehen, es einfach mal zu probieren, auch wenn nicht alles Wünschenswerte von Anfang an möglich ist.
 

Tolle Gespräche mit vielen neuen Ideen


Die Veranstaltung zeigte, dass auch online interessante Gespräche möglich sind. Es wurden viele Erfahrungen und Anregungen ausgetauscht. Auch die anderen Beiträge waren eindrucksvoll: David Jugel vom Zentrum für inklusive politische Bildung berichtete aus der Forschung, ein Vertreter aus Österreich berichtete von seiner inklusiven Volkshochschule und nicht zuletzt hat der Volkshochschulverband viele tolle Vorschläge, mit der Angebote möglich werden.